Epilepsie

-> Siehe auch Bewusstseinsstörungen: Seite 71

 

Gerade bei dieser Erkrankung sind die nachstehenden Einschränkungen individuell zu treffen, da abhängig vom Stadium/Klinik (Anfallshäufigkeit/anfallsfreier Zeitraum) und medikamentöser Behandlung (Nebenwirkungen!).

 

Hier sollte - allein aus juristischen Gründen - eine fachärztliche = neurologische Beurteilung erfolgen, wobei eine Einschätzung der Gefährdungsbeurteilung anhand nachfolgender Gefähr­dungskategorien [Anfallstypen] unter Berücksichtigung des Berufes/Arbeits­platzes erfolgt [nach Arbeitskreis zur Verbesserung der Eingliederungschancen von Personen mit Epilepsie].

 

Bei Vorliegen mehrerer Anfallstypen ist derjenige mit der höheren Gefährdung maßgebend.

 

Hierbei sind vor allem Eigengefährdung, Fremdgefährdung und ökonomisches Risiko zu beurteilen. Diese Kriterien sind wiederum abhängig von Anfallssymptomatik, Anfallshäufigkeit, Warnungen (Aura), tageszeitlicher Bindung, Anfallsauslöser und anfallsbegünstigende Umstände.

 

Gefährdungskategorie 0:

Erhaltenes Bewusstsein, erhaltene Haltungskontrolle und Handlungsfähigkeit

Kommentar: Anfälle ausschließlich mit Befindlichkeitsstörungen ohne arbeitsmedizinisch relevante Symptome; möglicherweise wird eine Handlung bewusst unterbrochen bis zum Ende der subjektiven Symptome.

 

Gefährdungskategorie A:

Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein mit Haltungskontrolle

Kommentar: Anfälle mit Zucken, Versteifen oder Erschlaffen einzelner Muskelgruppen.

 

Gefährdungskategorie B:

Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung mit Haltungskontrolle

Kommentar: Plötzliches Innehalten, allenfalls Minimalbewegungen ohne Handlungscharakter

 

Gefährdungskategorie C:

Handlungsunfähigkeit mit/ohne Bewusstseinsstörung bei Verlust der Haltungskontrolle

Kommentar: Plötzlicher Sturz ohne Schutzreflexe, langsames In-sich-Zusammen­sinken, Taumeln und Sturz mit Abstützen.

 

Gefährdungskategorie D:

Unangemessene Handlungen bei Bewusstseinsstörungen mit/ohne Haltungskontrolle

Kommentar: Unkontrollierte komplexe Handlungen oder Bewegungen, meist ohne Situa­tionsbezug

 

Hieraus resultieren je nach Risiko für den beruflichen Einsatz 3 große Untergruppen:

  1. Arbeiten mit Maschinen, Chemikalien, Elektrizität unter üblichen Arbeitsbedingungen, Publikumsverkehr
  2. Arbeiten auf technischem Niveau eines Familienhaushaltes mit gelegentlichem Aufenthalt in der Nähe von Maschinen / Anlagen, zeitweise Publikumsverkehr
  3. Arbeiten auf technischem Niveau eines Familienhaushaltes ohne Publikumsverkehr

Nach bestimmten Autoren (z.B. Elsner und Thorbecke) werden als arbeitsmedizinisch nicht mehr relevant angesehen:

- Anfallsfreiheit seit mehr als 2 Jahren

- Anfälle ausschließlich im Schlaf seit mehr als 3 Jahren

- Anfälle, die strikt auslösegebunden auftreten seit mehr als 3 Jahren

- Anfälle, die strikt an die 1. Stunde nach dem Erwachen gebunden auftreten seit mehr als 3 Jahren

 

In jedem Falle ist eine individuelle Beurteilung erforderlich. Da hierbei auch sich ergebende juristische Konsequenzen zu berücksichtigen sind, wird empfohlen, in jedem Falle eine zusätzliche fachärztliche Beurteilung durch einen Neurologen einzuholen.

 

Einschränkungen können sich nicht nur aus der Grunderkrankung, sondern auch aufgrund von Medikamenten-Nebenwirkungen durch die Therapie ergeben!

 

Anzumerken ist, dass trotz Erfüllung der aufgezählten Kriterien bestimmte arbeitsmedizinische Einschränkungen bestehen bleiben (z.B. nach Gesundheitsschutzbergverordnung oder nach Maritime Medizinverordnung) bzw. aufgrund der nicht abzuschätzenden zusätzlichen Risikoerhöhung sehr problematisch sind (z.B. Arbeiten / Tätigkeiten mit zusätzlichem Bereitschaftsdienst wegen des gestörten Wach-/Schlafrhythmus bzw. Schlafentzug).

Nicht geeignet für Arbeiten / Tätigkeiten

- an Bildschirmgeräten (G 37*) [auch bei neuen Bildschirmen mit höherer Bildwiederholungsfrequenz empfiehlt sich eine neurologische Unbedenklichkeitsbescheinigung; ggf. maximale zeitliche Einsatzmöglichkeit angeben]

- an Hitzearbeitsplätzen (G 30*)

- an Maschinen, die nicht durch Beidhandschaltungen gesichert oder gänzlich geschlossen sind

- die Beaufsichtigung / Kontrollen von anderen Personen erfordern

- die in Alleinarbeit ausgeführt werden müssen (ohne [ständige] Beaufsichtigung) [Angabe, ob ggf. mit entsprechenden Überwachungssystemen möglich]


- die einer Fahrerlaubnis nach Fahrerlaubnisverordnung (FeV) bedürfen [Differenzierung nach Fahrklassen erforderlich und unter Beachtung der „Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung“ sowie „Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung“ (FzF)]

- mit absehbarem Anfall von Überstunden [ggf. Anzahl / Begrenzung angeben, z.B. nur gelegentlich bei personellen Engpässen als Urlaubs-/Krankheitsvertretung]

- mit Absturzgefahr (G 41*) (= die Schwindelfreiheit erfordern, d.h. keine Arbeiten über 2 m Höhe, z.B. auf Gerüsten, auf Leitern oder auf Kränen)

- mit Arbeiten in sauerstoffreduzierter Atmosphäre (G 28*)

- mit Atemschutzmasken / -geräten (G 26*) [für alle Gruppen]

- mit Baumarbeiten (G 25* + G 41* + G 46*)

- mit erhöhten / besonderen Anforderungen an das Reaktionsvermögen [unter Umständen abhängig von eventuellen Medikamentennebenwirkungen]

- mit erhöhten / besonderen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit (= Ausdauer)

- mit besonderer Kälteeinwirkung (G 21*) [ggf. angeben, ob mit entsprechender Schutz­kleidung möglich]

- mit besonderer nervlicher Belastung (psychovegetativer Belastung)

- mit besonderer seelischer Belastung / Anspannung

- mit besonderer Unfallgefährdung / Verletzungen (z. B. an laufenden, unfallgefährdenden Maschinen)

- mit besonderer Verantwortung [z.B. Alleinverantwortung, Überwachung / Führung von Mitarbeitern, für Patienten]

- mit dauerndem oder kurzfristigen Wechsel der Arbeitszeiten [wenn keine ausreichende Arbeitspause gegeben ist - ggf. Zeitdauer angeben]

- mit erforderlicher körperlicher Dauerbelastung (G 46*)

- mit Erfordernis von Flugreisen (= keine Flugtauglichkeit - G 35*)

- mit erhöhter Verletzungsgefahr

- mit Fahr-/Steuer- und Überwachungstätigkeiten (G 25*) [ggf. differenzieren - z.B. Flurförderfahrzeuge, Stapler, Überwachungstätigkeiten mit niedrigen / hohen Anforderungen - 3 Jahre nach letztem Anfall]

- mit Fliegertauglichkeit

- mit Forstarbeiten (G 25* + G 41* + G 46*)

- mit häufigem Wechsel zwischen hell und dunkel (schnelle Hell- / Dunkeladaption)

- mit Klettern / Besteigen von Leitern (= Arbeiten, die nicht ebenerdig ausgeführt werden können)

- mit Kohlenmonoxid (G 7*)

- mit Lichtblendung

- mit Lösemitteln / Kleber (G 23*)

- mit [regelmäßigen] Nachtschichten (Anmerkung: Im öffentlichen Dienst als "durchgehende Wechselschicht" bezeichnet) [ggf. auch keine Wechselschicht - Anzahl / Begrenzung angeben, z.B. nur gelegentlich bei personellen Engpässen als Urlaubs-/Krankheitsver­tretung]

- mit Offshore-Tauglichkeit

- mit Pflanzenschutzmitteln

- mit Styrol (G 45*)

- mit Taucharbeiten (G 31*)

- mit Zeitdruck oder taktgebundener Arbeit (z.B. Fließband, Akkord, akkordähnlichen Arbeitsbedingungen oder mit zusätzlicher Stressbelastung durch Zeitvorgaben)

- mit zusätzlichem Bereitschaftsdienst (nachts, Wochenende) [ggf. Anzahl / Begrenzung angeben, z.B. nur gelegentlich bei personellen Engpässen als Urlaubs-/Krankheitsver­tre­tung]

- nach Gesundheitsschutzbergverordnung (= Arbeiten / Tätigkeiten unter Tage)

- nach Maritime Medizinverordnung (= Arbeiten / Tätigkeiten auf Schiffen)

- nach Röntgen- und / oder Strahlenschutzverordnung

- unter erhöhtem Umgebungsdruck (G 31*)

 

Anmerkung:

Weitere Hinweise für verschiedene Berufsgruppen können auch der Information des DGUV-Information „Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischem Anfall“ [DGUV Information 250-001 - über http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/250-001.pdf].

Das Netzwerk Epilepsie und Arbeit (NEA), welches aus multidisziplinären Fachteams besteht, bietet entsprechende Unterstützung bei fallbezogenen Fragen an.

Kontakt über E-Mail epilepsie-arbeit@im-münchen.de.